Peer-Effekte in der frühkindlichen Bildungsforschung – Der Einfluss von Peergruppen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf den Erwerb sprachlicher Kompetenzen


Promovendin: Franziska Hürlimann
Keywords: Peer-Effekte, Kompositionseffekte, Sprachkompetenz, Kindergarten, Grundschule
Gutachtende: Prof. Dr. Daniel Schmerse, Prof. Dr. Alexander Grob
Projektbeginn: FS 2023

Sprachkompetenzen sind für den Bildungserfolg von Kindern von grundlegender Bedeutung, wobei ihre Entwicklung in hohem Masse von Umwelterfahrungen geprägt wird und eng mit der sozioökonomischen Situation der Familie zusammenhängt (Hoff, 2006). Neben der Familie ist heutzutage für die Mehrheit der Kinder die Kindertagesstätte eine wichtige Lernumgebung, in der sie viel Zeit mit Gleichaltrigen verbringen. Die Frage, welchen Einfluss Peergruppen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf den Erwerb sprachlicher Kompetenzen und somit auf zukünftige Bildungschancen haben, ist bisher jedoch noch unzureichend beantwortet. Das Dissertationsvorhaben fokussiert diesbezüglich auf die Bedeutung der sprachleistungsbezogenen und sozioökonomischen Komposition der Peergruppe.
Kompositionseffekte auf Schulleistungen sind für soziale, ethnisch-kulturelle und fähigkeitsbezogene Kompositionsmerkmale mittlerweile gut dokumentiert (Baumert et al., 2006; Dumont et al., 2013). Internationale Forschungsergebnisse im vorschulischen Bereich legen nahe, dass die durchschnittliche sprachliche Kompetenz der Peergruppe bzw. deren sozioökonomische Zusammensetzung (u. a. Foster et al., 2020; Weiland & Yoshikawa, 2014) einen positiven Einfluss auf die individuelle Sprachentwicklung hat, wobei die Effektgrössen erheblich variieren und einige Studien keine Hinweise auf Peer-Effekte finden (Riberio et al., 2017; Yang et al., 2023). Für Deutschland berichtet Schmerse (2021), dass mehrsprachige Kinder in Gruppen mit höherem Sprachniveau einen grösseren Wortschatzzuwachs aufwiesen. Die Studie von Kohl et al. (2022) zeigt hingegen weder allgemeine noch differenzielle Peer-Effekte auf die sprachlichen Kompetenzen. Viele Arbeiten zu Sprachkompetenzen in frühkindlichen Bildungseinrichtungen haben jedoch vorrangig den Zusammenhang mit dem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund untersucht, mit uneindeutigen Befunden (u.a. Ebert et al., 2013; Kohl et al., 2019).

Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts «Peer-Effekte in der Frühkindlichen Bildungsforschung (PEERS)» untersucht die geplante Dissertation, inwieweit im Vorschul- und frühen Grundschulbereich ein Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Peergruppe hinsichtlich der mittleren Sprachfähigkeiten und des mittleren sozioökonomischen Status (SES) mit der Sprachentwicklung eines Kindes besteht.
Dieser Frage soll zum einen im Rahmen einer integrativen Datenanalyse für den deutschen Kontext systematisch nachgegangen werden. Dabei wird auch untersucht, ob sich Peer-Effekte differenziell in Abhängigkeit vom a) familiären Sprachhintergrund, b) individuellen SES, sowie c) sprachlichen Ausgangsniveau zeigen.
Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Frage, welche Rolle Peer-Effekte für die Sprachkompetenz beim Übergang vom Elementar- in den Primarbereich und dem damit verbundenen Wechsel der Peergruppe spielen.
Schliesslich soll untersucht werden, inwieweit Gruppenzusammensetzungen in verschiedenen europäischen Frühbildungssystemen Disparitäten in der Gesellschaftssprache beeinflussen und welche Rolle dabei Qualitätsmerkmale der Einrichtungen spielen.

Das Projekt nutzt Sekundärdaten von insgesamt über 18.000 Kindern im Alter von 2 bis 10 Jahren in mehr als 1500 Gruppen aus fünf deutschen Studien, darunter die NEPS-Startkohorte 2 (Blossfeld & Roßbach, 2019) und BiKS-3-10 (Weinert et al., 2013) sowie jeweils eine Studie aus Grossbritannien und den Niederlanden. Alle berücksichtigten Studien haben die Sprachkompetenz (rezeptiver Wortschatz) mittels etablierter Testverfahren zu mehreren Messzeitpunkten erfasst und liefern reliable und valide Informationen zu kognitiven Fähigkeiten sowie Kontextmerkmalen (SES, Familiensprache) von hoher Qualität und Vergleichbarkeit.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Mehrebenenmodelle mit den Kindern auf Ebene 1 und der Kindergartengruppe bzw. Schulklasse als relevante Level-2-Einheit spezifiziert. Als Kompositionsmerkmale gehen die gemittelten sprachlichen Fähigkeiten und der gemittelte SES in die Modelle ein. Bei der Modellierung von Daten mit zwei Messzeitpunkten wird ein lagged regression Ansatz gewählt. Ausserdem muss bei den Analysen von Peer-Effekten beim Übergang in die Grundschule die kreuzklassifizierte Datenstruktur berücksichtigt werden. In allen Modellen wird für das sprachliche Ausgangsniveau sowie für relevante Drittvariablen kontrolliert. Für die erste Fragestellung erfolgt zudem eine meta-analytische Zusammenfassung der pro Datensatz geschätzten Effektgrössen im Rahmen einer Zwei-Schritte Individual Participant Data Meta-Analyse (Riley et al., 2021).
Bisherige Studien zu Peer-Effekten und Sprachkompetenzen basieren zumeist auf Analysen einzelner Primärdatensätze und unterscheiden sich in ihren statistischen Modellierungsansätzen. Die Verwendung konsistenter Methoden ermöglicht es, belastbare Ergebnisse zu generieren. Insgesamt trägt das Projekt zu einem besseren Verständnis von Lernumgebungen in frühkindlichen Bildungseinrichtungen bei und gibt Aufschluss über die Bedeutung von Peers für die Sprachentwicklung.

Literatur
Baumert, J., Stanat, P. & Watermann, R. (2006). Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus. In J. Baumert, P. Stanat & R. Watermann (Hrsg.), Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen: Differenzielle Bildungsprozesse und Probleme der Verteilungsgerechtigkeit: Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000 (1. Aufl., S. 95–188). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90082-7_4

Blossfeld, H.‑P. & Roßbach, H.‑G. (Hrsg.). (2019). Education as a Lifelong Process: The German National Educational Panel Study (NEPS). Edition ZfE (2. Auflage). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23162-0

Dumont, H., Neumann, M., Maaz, K. & Trautwein, U. (2013). Die Zusammensetzung der Schülerschaft als Einflussfaktor für Schulleistungen. Internationale und nationale Befunde. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 60(3), 163–183. https://doi.org/10.2378/peu2013.art14d

Ebert, S., Lockl, K., Weinert, S., Anders, Y., Kluczniok, K. & Roßbach, H.‑G. (2013). Internal and external influences on vocabulary development in preschool children. School Effectiveness and School Improvement, 24(2), 138–154. https://doi.org/10.1080/09243453.2012.749791

Foster, T. J., Burchinal, M. & Yazejian, N. (2020). The relation between classroom age composition and children's language and behavioral outcomes: Examining peer effects. Child Development, 91(6), 2103–2122. https://doi.org/10.1111/cdev.13410

Hoff, E. (2006). How social contexts support and shape language development. Developmental Review, 26(1), 55–88. https://doi.org/10.1016/j.dr.2005.11.002

Kohl, K., Bihler, L.‑M., Agache, A., Leyendecker, B. & Willard, J. A. (2022). Do peers matter? Peer effects on young children’s vocabulary gains in German classrooms. Journal of Educational Psychology, 114(1), 161–176. https://doi.org/10.1037/edu0000522

Kohl, K., Willard, J. A., Agache, A., Bihler, L.‑M. & Leyendecker, B. (2019). Classroom quality, classroom composition, and age at entry: Experiences in early childhood education and care and single and dual language learners’ German vocabulary. AERA Open, 5(1), 233285841983251. https://doi.org/10.1177/2332858419832513

Ribeiro, L. A., Zachrisson, H. D. & Dearing, E. (2017). Peer effects on the development of language skills in Norwegian childcare centers. Early Childhood Research Quarterly, 41, 1–12. https://doi.org/10.1016/j.ecresq.2017.05.003

Riley, R. D., Tierney, J. F. & Stewart, L. A. (2021). Individual participant data meta-analysis: A handbook for healthcare research. Wiley.

Schmerse, D. (2021). Peer effects on early language development in dual language learners. Child Development, 92(5), 2153–2169. https://doi.org/10.1111/cdev.13588

Weiland, C. & Yoshikawa, H. (2014). Does higher peer socio-economic status predict children's language and executive function skills gains in prekindergarten? Journal of Applied Developmental Psychology, 35(5), 422–432. https://doi.org/10.1016/j.appdev.2014.07.001

Weinert, S., Roßbach, H.‑G., Faust, G., Blossfeld, H.‑P. & Artelt, C. (2013). Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter (BiKS-3-10) (Version 6) [Datensatz]. Berlin. IQB - Institut zur Qualitätssicherung im Bildungswesen. https://doi.org/10.5159/IQB_BIKS_3_10_v6

Yang, Q.; Ansari, A.; Purtell, K.M., Pianta, R.C., Whittaker, J. V. & Vitiello, V. E. (2023). Classroom skill compositions and preschoolers’ early academic and executive function outcomes. Early Childhood Research Quarterly, 64, 290-301. https://doi.org/10.1016/j.ecresq.2023.04.003