Promovendin: Teresa Maria Schkade
Keywords: Lehrprozesse, Sportunterrichtspraxis, Ko-Konstruktion, Qualitative Forschung, Narrative Inquiry
Gutachtende: Prof. Dr. Roland Messmer (PH FHNW), Prof. Dr. Markus Gerber (Universität Basel)
Projektbeginn: FS 2025
Theoretische Verankerung und Ausgangslage
Sportunterricht ist ein fester Bestandteil des Fächerkanons an Schulen, wobei drei Lektionen in der deutschsprachigen Schweiz wöchentlich verpflichtend sind. Daraus resultieren über die Schulzeit der Schüler:innen hinweg eine beachtliche Anzahl an Lektionen. Was im 'Alltag' des Sportunterrichts geschieht, bleibt im aktuellen Forschungsdiskurs sehr vage. Die Notwendigkeit einer Untersuchung der Sportunterrichtspraxis ergibt sich aus dem Interesse, grundsätzlich verstehen zu können, wo Einflussfaktoren für das Lernen im Sportunterricht liegen.
Das Dissertationsprojekt analysiert in einer empirischen Untersuchung die Unterrichtspraxis im Sportunterricht auf den Sekundarstufen I und II. Der Fokus liegt dabei bei den Lehrpersonen und darauf, wie deren Lehren das Lernen der Schüler*innen beeinflusst. Das Promotionsvorhaben ist in das vom SNF geförderte Forschungsprojekt "Unterrichtspraxis im Fach Sport. Studie zur Ko-Konstruktion von Unterrichtsgegenstand, Unterrichtsprozessen und Lernprozessen im Sportunterricht" (UPiS-Studie, SNF-Projektnummer: 219790) eingebettet. Aus einer fachdidaktischen Perspektive wird in diesem Projekt die Unterrichtspraxis im Sportunterricht als Ko-Konstruktion der handelnden Akteur:innen untersucht.
Bisher liegen sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene nur wenige Erkenntnisse zur Sportunterrichtspraxis vor. Insbesondere als Ko-Konstruktion ist sie grössenteils unerforscht. Dabei weisen Ergebnisse der EPiC-PE-3:1-Studie (Effects of Professional Competencies of PE Teachers on Teaching and Student Performance) (Messmer et al., 2022) auf die Notwendigkeit hin, die sie bestimmenden Strukturen genauer zu untersuchen. Mit dem EPiC-PE-3:1-Projekt wurde die Wirkung der professionellen Kompetenzen von Lehrpersonen auf die Lernergebnisse der Schüler:innen im Sportunterricht untersucht (Messmer, 2022; Wittwer et al. 2024). Diese quantitativen Analysen zeigten keine signifikanten Effekte des fachspezifischen professionellen Wissens und Könnens der Lehrperson auf den Lernzuwachs der Schüler:innen. Dennoch war bei den Schüler:innen über alle untersuchten Bewegungsfelder hinweg eine signifikante Verbesserung des Lernzuwachses zwischen den beiden Messzeitpunkten zu erkennen, was darauf hindeutet, dass im Unterricht etwas geschieht, das den Lernzuwachs der Schüler:innen beeinflusst. Da die Unterrichtspraxis selbst nicht Teil der Untersuchung war, bleibt unklar, welche Lehrprozesse in der Sportunterrichtspraxis ablaufen, wie Lehrpersonen auf das Schüler:innenhandeln reagieren und inwiefern Lehrpersonen und Schüler:innen den Sportunterricht gemeinsam ko-konstruieren.
Das Dissertationsprojekt knüpft an den Professionsdiskurs von Lehrpersonen an und fokussiert auf deren Performanz. Curriculum Making dient als theoretischer Zugang dieser Arbeit, welcher für die deutschsprachige Unterrichtsforschung innovativ ist und die Komplexität der Unterrichtspraxis explizit berücksichtigt. Curriculum Making wird als fortwährender Prozess verstanden, der durch das Zusammenwirken von Lehrpersonen, Schüler:innen, Fach und Milieu (vgl. die vier Commonplaces nach Schwab, 1973) bestimmt wird (Schwab, 1973; Clandinin & Connelly, 1992). Somit sind Lehrpersonen und Schüler:innen zentrale Curriculum Makers und nehmen im Lehrprozess eine wichtige Funktion ein.
Forschungsfragen
Es besteht die Annahme, dass das Lehren der Lehrperson innerhalb eines ko-konstruktiven Unterrichtssettings stattfindet und Lehrprozesse im Sportunterricht nicht nur von Lehrer:innenseite aus "gesteuert" werden, sondern eine wechselseitige Einflussnahme erfolgt. Die übergeordnete Forschungsfrage lautet:
• Wie werden Lehrprozesse durch Lehrpersonen konstruiert? Da hierbei die Struktur der Lehrprozesse im Zentrum steht, werden als Unterfragen folgende Fragen ausdifferenziert:
• Welche Muster werden in den Lehrprozessen der Lehrpersonen deutlich?
• Wie gestaltet die Lehrperson ihre Lehrprozesse in Reaktion auf das Lernen und Nicht-Lernen der Schüler:innen?
• Wie werden Lehrprozesse durch die vielfältigen Erfahrungen der Lehrpersonen, respektive Aus- und Weiterbildungen und durch Sportaktivitäten ausserhalb der Schule beeinflusst?
Methodischer Zugang, Datenerhebung und -auswertung
Als Forschungszugang wird Narrative Inquiry (Messmer et al., 2023; Clandinin, 2023) angewendet. Dieser Zugang ist nicht nur eine qualitative Forschungsmethode, sondern geht auch mit einem methodologischen Verständnis der eigenen Forschungshaltung einher (Messmer et al., 2023; Craig, 2020). Narrative bestimmen die Performanz von Unterrichtshandlungen, sowohl auf der Seite der Lernenden als auch auf derjenigen der Lehrenden (ebd.). Das Datenmaterial besteht aus Videoaufnahmen, welche im Sportunterricht aus unterschiedlichen Kameraperspektiven generiert werden und als Gesprächsgrundlage für die erzählgenerierenden Gespräche mit Lehrpersonen und Schüler:innen dienen. Feldtexte ergänzen die Videoaufnahmen und Gespräche. Durch ein mehrfaches Ins-Feld-Gehen in mehreren Schulklassen in der Deutschschweiz wird eine iterative Analysestrategie verfolgt, durch die eine entsprechende Tiefe und Dichte der Narrative erreicht werden soll.
Erwarteter Gewinn der Arbeit (Neuigkeitswert)
Wie Lehrpersonen Lehrprozesse im Sportunterricht initiieren und mit den Schüler:innen zu Ko-Konstrukteur:innen werden, ist das Hauptinteresse der Untersuchung. Zudem werden Lehrprozesse in ihren Tiefenstrukturen untersucht. Für die Fachdidaktik Sport sind die erwarteten Resultate grundlegend, damit das eigentliche Geschehen in der Sportunterrichtspraxis – das, was 'passiert' – besser gefasst werden kann. Die Ergebnisse ermöglichen eine fachspezifische Qualitätsentwicklung der Fachdidaktik, die bislang meist auf Übernahmen von Qualitätsmerkmalen anderer Fächer beruht. Weil die Erkenntnisse aus der Praxis hervorgehen, sind sie für eine kompetenzorientierte Weiterentwicklung des Schulfachs zentral.
Literatur
Clandinin, D. J. (2023). Engaging in Narrative Inquiry. Taylor & Francis.
Clandinin, D. J., & Connelly, F. M. (1992). Teacher as curriculum maker. In P. Jackson (Ed.), Handbook of research on curriculum (pp. 363-401). American Educational Research Association. Macmillan.
Craig, C. J. (2020). Curriculum Making, Reciprocal Learning, and the Best-Loved Self. Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-60101-0
Messmer, R., Brühwiler, C., Gogoll, A., Büchel, S., Vogler, J., Kruse, F., Wittwer, M., Steinberg, M., & Nadenbousch, A. (2022). Wissen und Können bei Lehrpersonen und Lernenden im Sportunterricht. Zum Design und zur Modellierung von Schüler*innen und Lehrer*innenkompetenzen. In R. Messmer & C. Krieger (Eds.), Narrative zwischen Wissen und Können. Aktuelle Befunde aus Sportdidaktik und Sportpädagogik (pp. 209-232). Academia. https://doi.org/10.5771/9783985720118-209
Messmer, R., Schönfeld, K., & Vogler, J. (2023). Narrative Matters – Narrative Inquiry als Forschungsmethode und Forschungshabitus. In B. Zander, D. Rode, D. Schiller, & D. Wolff (Eds.), Qualitatives Forschen in der Sportpädagogik. Beiträge zu einer reflexiven Methodologie (pp. 309-331). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38038-0_14
Schwab, J. J. (1973). The Practical 3: Translation into curriculum. The School Review, 81(4), 501–522. https://doi.org/10.2307/1084423
Wittwer, M., Messmer, R., & Vogler, J. (2024). Effects of subject-specific professional knowledge and skills of physical education teachers on students’ learning progress: Effekte fachspezifischen professionellen Wissens und Könnens von Sportlehrpersonen auf die Lernfortschritte von Schüler*innen. German Journal of Exercise and Sport Research, 1. https://doi.org/10.1007/s12662-024-00992-0