Leistungsmotivation und Passungswahrnehmung im Bildungsverlauf
Promovend: Lukas Ramseier
Keywords: Leistungsmotivation, Passung, Persönlichkeit, Bildungsentscheidungen
Gutachtende: Prof. Dr. Markus P. Neuenschwander, Prof. Dr. Alexander Grob
Projektbeginn: FS 2021
Abstract
Theorie
Als Grundlage dieser Dissertation soll das von Eccles und Wigfield (2002) formulierte expectancy-value model of achievement dienen. Diesem zufolge sind leistungs- und bildungsbezogene Entscheidungen das Resultat der Ergebniserwartung und dem Wert, der der zu meisternden Aufgabe beigemessen wird. Diese beiden Elemente – Erwartung und Wert – werden als Teilaspekte der Leistungsmotivation verstanden. Die Entstehung und Auswirkungen der Leistungsmotivation ist ein Ansatzpunkt dieser Dissertation. Ziel ist es, ein neues Modell zur Entstehung von bildungsbezogenen Werten und Erwartungen zu formulieren und empirisch zu überprüfen, das die Theorie von Eccles und Wigfield weiterführt. Es soll a) neben der obligatorischen Schulzeit auch Aussagen auf die nachobligatorische Bildung zulassen, b) kontextuelle Faktoren miteinbeziehen, indem es abbildet, wie deren Wahrnehmung durch das Individuum dessen bildungsbezogene Überzeugungen formt und c) zu diesem Zweck auch die Persönlichkeit berücksichtigen. Erwartungen und Bildungswerte – und damit das Konstrukt der Leistungsmotivation – werden als Überzeugungen verstanden, welche wiederum einen Teilbereich der Persönlichkeit ausmachen. Nach Asendorpf und van Aken (2003) wird zwischen core personality und surface personality unterschieden. Während core-Charakteristiken (wie beispielsweise die big five) verhältnismässig stabil sind und stärker von genetischen Einflüssen abhängen, besteht die surface-Ebene aus Haltungen und Überzeugungen, die stärker von der Umwelt beeinflusst werden (Asendorf & van Aken, 2003, McCrae & Costa, 1996). Dieser Einfluss der Umwelt auf Überzeugungen ist ein zentraler Teil der Theorie des person-environment fit (Hunt, 1975, Eccles & Midgley, 1989), die von Eccles et al. (1993) auf stage-environment fit erweitert wurde. Sie besagt, dass Motivation und Verhalten von der Passung zwischen kognitiven Charakteristiken eines Individuums auf der einen und der sozialen Umwelt auf der anderen Seite beeinflusst werden.
Forschungsfragen
(1) Wie beeinflussen kontextuelle Variablen hinsichtlich Autonomie, Struktur und Beziehung zur Lehrperson über die Passungswahrnehmung Bildungswerte und Erwartungen in der Sekundarstufe I und II?
(2) In welchem Ausmass erklären surface-Variablen wie Bildungswerte und Erwartungen einerseits und core-Persönlichkeitsmerkmale andererseits Bildungsentscheidungen während/nach der Sekundarstufe I und II?
(3) Welche parallelen Verlaufsmuster von Bildungswerten, Erwartungen und Passungswahrnehmung sind über die Messzeitpunkte Sekundarstufe I, Sekundarstufe II und Austritt aus Sekundarstufe II hinweg festzustellen?
(4) Wie begünstigen kontextuelle Variablen hinsichtlich Autonomie, Struktur und Beziehung zur Lehrperson sowie die Passungswahrnehmung während der nachobligatorischen Ausbildung Erwartungen und Bildungswerte nach dem Ausbildungsabschluss?
Materialgrundlage und Feldzugang
Die Forschungsfragen werden mit Daten des Forschungsprojekts WiSel – Wirkungen der Selektion des Zentrums für Lernen und Sozialisation (PH FHNW) bearbeitet. Zur Überprüfung sollen Regressionsanalysen und Strukturgleichungsmodelle eingesetzt werden. Die Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Variablen werden so mit verschiedenen Wellen an unterschiedlichen Stationen des Bildungsverlaufs erforscht. Die Dissertation soll sowohl längs- als auch querschnittliche Analysen enthalten.
Erwarteter Gewinn
Das expectancy-value model erklärt, wie bildungsbezogene Erwartungen und Werte Bildungsentscheidungen beeinflussen. Die Aspekte der Passung und der Persönlichkeit enthält es allerdings nicht, obwohl anzunehmen ist, dass diese für die Entwicklung der hier behandelten Überzeugungen relevant sind (Roberts & Robins, 2004, Sackett et al., 2017). Diese Dissertation hat daher zum Ziel, die verschiedenen Konzepte in einem Modell zu vereinen, um einen Beitrag zu einem präziseren Verständnis für das Zusammenspiel von Persönlichkeit, Überzeugungen, Bildungskontext und Passung zu schaffen. Aufgrund der zyklischen Natur des angestrebten Modells können die Variablen je nach Analyse sowohl als Prädiktoren als auch als Outcome fungieren. Einige der postulierten Zusammenhänge wurden bereits erforscht, eine Erklärung der genauen Rolle und Bedeutung von Passungswahrnehmung und core personality für das Entstehen von Erwartungen und Bildungswerten in einem umfassenden, empirisch überprüften Modell stellt allerdings eine Neuartigkeit dar. Durch die Verknüpfung verschiedener theoretischer Ansätze, insbesondere des expectancy-value model mit dem Ansatz des person-environment fit, kann die Relevanz der Umwelt bzw. ihrer Wahrnehmung durch das Individuum für die Entwicklung von Erwartungen und Bildungswerden abgebildet werden. Die Erforschung der Rolle der Passungswahrnehmung sorgt für ein besseres Verständnis dafür, welche Verantwortung Bildungseinrichtungen und -verantwortliche möglicherweise wahrzunehmen haben, wenn es um die psychologischen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern geht.
Literatur
Asendorf, J. B. & van Aken, M. A. G. (2003). Personality–Relationship Transaction in Adolescence: Core Versus Surface Personality Characteristics. Journal of Personality, 71(4), 629-666.
Eccles, J. S., Midgley, C., Wigfield, A., Miller Buchanan, C., Reuman, D., Flanagan, C. & Mac Iver, D. (1993). Development During Adolescence: The Impact of Stage-Environment Fit on Young Adolescents’ Experiences in Schools and in Families. American Psychologist, 48(2), 90-101.
Eccles, J. S. & Midgley, Carol. (1989). Stage/environment fit: Developmentally appropriate classrooms for early adolescents. In Russel E. Ames & Carole Ames (Hrsg.), Research on motivation in education (S. 139-186). San Diego: Academic Press.
Eccles, J. S. & Wigfield, A.. (2002). Motivational Beliefs, Values and Goals. Annual Review of Psychology, 53, 109-132.
Hunt, D. E. (1975). Person-Environment Interaction: A Challenge Found Wanting before It Was Tried. Review of Educational Research, 45(2), 209-230.
McCrae, R. R. & Costa, P. T. (1996). Toward a new generation of personality theories: Theoretical contexts for the five-factor model. In Jerry S. Wiggins (Hrsg.), The five-factor model of personality: Theoretical perspectives (S. 51–87). New York: Guilford Press.
Roberts, B. W. & Robins, R. W. (2004). Person-Environment Fit and Its Implications for Personality Development: A Longitudinal Study. Journal of Personality 72(1), 89-110.
Sackett, P. R., Lievens, F., Van Iddekinge, C. H. & Kuncel, N. R. (2017). Individual Differences and Their Measurement: A Review of 100 Years of Research. Journal of Applied Psychology 102(3), 254-273.