Vielseitige Geschichten - einseitige Erzählweise. Die Geschichte der Erwachsenenbildung in der Schweiz (1918-2018). Eine bildungshistorische Diskursanalyse.
Promovendin: Claudia Zimmerli-Rüetschi
Keywords: Erwachsenenbildung, Bildungsgeschichte, Erzählung von Geschichte, Diskursanalyse, Erinnerungskulturen
Gutachtende: Prof. Dr. Martin Lengwiler; Prof. Dr. Daniel Wrana; Prof. Dr. Christine Zeuner
Projektbeginn: HS 2020
Der Erwachsenenbildungsdiskurs in der Schweiz wird von verschiedenen Akteur_innen im Feld lebendig geführt und über deren Praxen immer wieder neu hervorgebracht. Eine wissenschaftliche Begleitung dieses Diskurses findet aber nur punktuell statt. Dies mag damit zusammenhängen, dass ‘Erwachsenenbildung’ als wissenschaftliche Disziplin in der Schweiz kaum etabliert ist. Seit 2004 existiert eine Professur an der Universität Genf, seit 2009 an der Universität Basel und seit 2016 an der PH Zürich
Beschäftigt man sich näher mit diesen Erzählungen, die im Erwachsenenbildungsdiskurs in der Schweiz hervorgebracht werden, fällt auf, dass die Erzählweise dieser verschiedenen Geschichten der Erwachsenenbildung sehr homogen verläuft. Trotz verschiedener Akteure im Feld kann also eine relativ einseitige, in sich auffällig stimmige und ‘glatte’ Geschichtsschreibung konstatiert werden, welche auf den ersten Blick nur wenige Kontroversen aufzeigt. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht diese eigentümliche ‚Schreibweise‘ der Geschichtserzählung der Erwachsenenbildung in der Schweiz, so dass im Rahmen dieses Promotionsvorhabens keine neue Geschichte der Erwachsenenbildung geschrieben werden soll, sondern diese aus einer erwachsenenbildnerischen Perspektive heraus diskursanalytisch befragt wird.
Die zentrale untersuchungsleitende Fragestellung dieser poststrukturalistisch orientierten Forschungsarbeit ist diejenige nach den Operationsweisen der diskursiven Praxis, d.h. die Frage, über welche Regeln und Mechanismen sich die «Erzählungen zur Geschichte Erwachsenenbildung in der Schweiz» organisieren. Wenn diese Regeln und Mechanismen aufgeschlüsselt werden - so die These - kann erkannt werden, wie die in den Erzählungen hervorgebrachten diskursiven Formationen «Dauerhaftigkeit, Kohärenz, Kohäsion und innere Integration» erreichen (Rainer Diaz-Bone 2013, S.91).
Die Dissertation will der Frage nachgehen, mit welchen diskursiven Praktiken in den Geschichtserzählungen eine Anordnung der Relationen und Macht- sowie Subjektverhältnisse vorgenommen und auf welche Weise die «Bildungsarbeit mit Erwachsenen» in die jeweiligen diskursiven Kämpfe eingebunden werden. Damit einher geht die Frage, auf welche Weise sich die diskursive Praxis der Erzählungen der Geschichte der Erwachsenenbildung in der Schweiz als Strukturierungspraxis zur Legitimation des gegenwärtig Gewordenen beiträgt oder anders, wie sie das «Ensemble von Gesagtem und Sagbaren» hervorbringt, umgestaltet und sichert (Klingovsky et al. 2020).
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