Lesestrategien von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I beim Lesen von Biologietexten
Promovendin: Eliane Gilg
Gutachtende: Prof. Dr. Afra Sturm, Prof. Dr. Martin Luginnbühl, Prof. Dr. Schmellentin-Britz
Projektbeginn: HS 2018
Lesekompetenz ist von hoher Relevanz für den schulischen Erfolg, denn schulisches Lernen ist eng mit der Kompetenz verschränkt, Informationen aus Texten erschliessen zu können (Baumert et al. 2001). Spätestens mit den ersten PISA-Studien wurde deutlich, dass ein grosser Teil der 15-Jährigen nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringt, um selbst aus einfachen Sachtexten Informationen erschliessen zu können (Artelt et al. 2002). Studien weisen darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler (SuS) der Sekundarstufe I im Fachunterricht von den zunehmend fachlich und sprachlich komplexen, diskontinuierlichen und multimodalen Texten überfordert sind (Ahrenholz/Maak 2012, Schmellentin et al. 2017). Es besteht aber bisher wenig empirisch fundiertes Wissen darüber, wie SuS ihre Leseprozesse strukturieren, welche Probleme sie beim Lesen haben und welche Strategien sie in welcher Qualität nutzen (Schmellentin et al. 2017, Catrysse et al. 2016). Im Promotionsvorhaben wird an dieses Forschungsdesiderat angeknüpft.
Kern des Projekts ist eine explorative und qualitative Studie (N=16) mit Leseprozessbeobachtungen und Stimulated Recall mit SuS der Sekundarstufe I (8. Klassenstufe, mittleres Niveau, AG/ZH, CH). In dem Forschungsvorhaben soll mittels Leseprozessbeobachtungen, Stimulated Recalls und Verstehenstests ein differenziertes Bild von lesestrategischem Verhalten von SuS beim Lesen von Biologietexten gezeichnet werden. Im Fokus des Forschungsvorhabens stehen die Fragen, über welche Lesestrategien SuS der Sekundarstufe I in welcher Qualität verfügen und wie die Qualität des lesestrategischen Verhaltens, die Tiefe der strategiebezogenen Selbstaussagen und Leseverstehensleistungen zusammenhängen.
Die Studie ist qualitativ und explorativ angelegt. Um ein möglichst breites Spektrum an Verhaltensweisen und lesestrategischen Typen aufzeichnen zu können, wird mit einem theoretischen Sampling ein Extremgruppenvergleich gemacht. Ausgewählt werden 16 Versuchspersonen aus einer Stichprobe von insgesamt rund 90 SuS (7 Klassen). Auswahlkriterien sind der Grad des Leseverstehens (Test «Lesen 8-9», Bäuerlein 2012) und das thematische Vorwissen in Bezug auf den in der Leseprozessbeobachtung zu lesenden Biologietext (selbst entwickelter Test). Um möglichst grosse Kontrastierungen im Sampling zu haben, werden sowohl starke als auch schwache LeserInnen mit einem mittleren Vorwissen ausgewählt.
Die Erhebungen finden in 1:1 Situationen statt und dauern 45-60 Minuten. Kern der Erhebungen sind Leseprozessbeobachtungen, wobei mittels Eye Tracking Blickbewegungsdaten (z.B. Text-Bild-Bezüge, Phasen des Überfliegens) und Lesespurdaten (Markierungen, Notizen und Visualisierungen) erhoben werden. Weiter werden im Rahmen eines Pre-Interviews und eines Stimulated Recalls konkrete und situationsspezifische strategiebezogene Selbstaussagen erhoben, um Einblicke in ablaufende kognitive und metakognitive Prozesse zu erhalten. Diese beiden Phasen werden mit Video aufgezeichnet.
Die Eye-Tracking-Daten werden auf einer globalen Ebene ausgewertet. Es stehen nicht Mikrobewegungen des Auges im Fokus, sondern Blickbewegungen, die Rückschlüsse auf lesestrategisches Verhalten zulassen (z.B. Text-Bild-Bezüge, wiederholtes Lesen von einzelnen Passagen, Phasen des Textüberfliegens). Sowohl die Eye-Tracking-Daten als auch die Videodaten der Pre-Interviews/Stimulated Recalls werden mit dem Videocodierprogramm ELAN segmentiert und nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) codiert. Es soll ein Auswertungsinstrument entwickelt werden, das sowohl für die Eye-Tracking-Daten als auch für die Videodaten genutzt werden kann. Ziel ist es, die Beobachtungsdaten und die Selbstaussagen triangulieren zu können, um schliesslich Zusammenhänge zwischen der Art und Qualität der Strategienutzung, den Selbstaussagen und den Verstehensleistungen analysieren zu können.
Literatur:
Ahrenholz, Bernt und Maak, Diana (2012): Sprachliche Anforderungen im Fachunterricht. Eine Skizze mit Beispielanalysen zum Passivgebrauch in Biologie. In: Roll, Heike und Grießhaber, Wilhelm (Hrsg.): Mehrsprachiges Handeln im Fokus von Linguistik und Didaktik. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr. S. 135–152.
Artelt, Cordula; Schiefele, Ulrich; Schneider, Wolfgang und Stanat, Petra (2002): Leseleistungen deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich (PISA): Ergebnisse und Erklärungsansätze. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 5/1.
Bäuerlein, Kerstin (2012): Lesen 8-9: Lesetestbatterie für die Klassenstufen 8-9. Göttingen: Hogrefe.
Baumert, Jürgen et al. (Hrsg.) (2001): PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich.
Catrysse, Leen; Gijbels, David; Donche, Vincent; de Maeyer, Sven; van den Bossche, Piet und Gommers, Luci (2016): Mapping processing strategies in learning from expository text: an exploratory eye tracking study followed by a cued recall. In: Frontline Learning Research 4/1. S. 1–16.
Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz.
Schmellentin, Claudia; Dittmar, Miriam; Gilg, Eliane und Schneider, Hansjakob (2017): Sprachliche Anforderungen in Biologielehrmitteln. In: Ahrenholz, Bernt; Hövelbrinks, Britta und Schmellentin, Claudia (Hrsg.): Fachunterricht und Sprache in schulischen Lehr-/Lernprozessen. Tübingen: Narr. S. 73–92.