Zusammenarbeit von Schulleitung und Lehrpersonen im Bereich der Führung
Promovendin: Ella Grigoleit
Keywords: Schulleitung, Geteilte Führung, Verteilte Führung, Mittlere Führungsebene
Gutachtende: Prof. Dr. Pierre Tulowitzki, Prof. Dr. Elena Makarova
Projektbeginn: FS 2022
Wissenschaftliche Bedeutsamkeit und Zielsetzung
Schulische Führung nimmt eine Schlüsselfunktion in komplexen Tätigkeitsfeldern sowohl in der Organisation des schulischen Alltags als auch in der Initiierung und Steuerung von Schulentwicklungsprozessen ein (Schratz et al., 2016). Die Effekte schulischen Führungshandelns lassen sich über diverse innerschulische Abläufe bis hin zu den Leistungen der Schülerinnen und Schülern nachzeichnen (Leithwood et al., 2017). Eine Sicht auf schulische Führung, die ausschliesslich Schulleitungen in den Blick nimmt, scheint aber verkürzt, da auch Lehrpersonen die Organisation und Entwicklung von Schulen massgeblich beeinflussen. Forschungsbefunde deuten darauf hin, dass die Verteilung von Führung einen relevanten Beitrag zur Schulqualitätssicherung leisten kann (Albisser et al., 2013) und nachhaltig erfolgreiche Schulentwicklungsprozesse unter anderem davon abhängig sind, in welcher Form Mitglieder der Schulgemeinschaft in Entscheidungs- und Veränderungsprozesse einbezogen werden (vgl. u.a. Hallinger & Heck, 2009; Holtappels, 2008; Maag Merki, 2017).
Ziel des Promotionsvorhabens soll es darum sein, zum Erkenntnisgewinn um die schulische Führung (Leadership) als Praxis und Aushandlungsprozess beizutragen und dabei das Gefüge zwischen Personen zu beleuchten, die formell mit Führungsaufgaben betraut sind, und jenen, die sich – ohne eine solche Funktion innezuhaben – an Führung beteiligen, Verantwortung (mit-)übernehmen und die Gestaltung und Entwicklung von Schulen (mit-)bewegen.
Theoretische Verankerung
Das dem Promotionsvorhaben zugrundeliegende Verständnis von Führung bezieht sich zunächst auf das u.a. durch Spillane (2004) dargestellte Konzept der verteilten Führung (distributed Leadership), in welchem Führungsprozesse als Interaktion zum Gegenstand der Forschung werden. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt «die Wechselseitigkeit von Individuum und Umfeld» (ebd., S. 20, Übersetzung durch die Verfasserin) in der Gestaltung schulischen Führungshandelns und eröffnet «eine Perspektive auf die Praxis der Schulleitung […], die sich auf das Wie und Warum der Führungstätigkeit konzentriert» (ebd., S. 27, Übersetzung durch die Verfasserin). Die Erweiterung empirischer Forschung auf Akteure, die nicht formell mit Führungsaufgaben betraut sind, spielt dabei eine massgebliche Rolle, denn «Führung ist im Gegensatz zur Leitung, die immer an eine Stelle gekoppelt ist, kein Phänomen, das objektiv existiert. Vielmehr wird Führung als «soziale Tatsache» von den Beteiligten basierend auf individuellen Einschätzungen, Zuschreibungen und kontextbezogenen Interpretationen erst geschaffen» (Endres & Weibler, 2020, S. 93). Zur Beschreibung des interaktionalen Charakters von Führung dient die Vier-Felder-Matrix nach Endres und Weibler (2019, 2020).
Forschungsfragen
- Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Bereichen Führung zwischen Lehrpersonen und Schulleitung?
- Wie nehmen die Akteure die Effekte verteilter Führung (Leadership) wahr?
- Welche Strukturen und Muster der Entscheidungsfindung im Bereich der Führung zwischen Lehrpersonen und Schulleitung lassen sich identifizieren?
- Welche Einstellungen der Lehrpersonen und Schulleitungen beeinflussen die Übernahme und Verteilung von Verantwortung?
- Welche Haltung und welches berufliche Selbstverständnis zeigen Lehrpersonen, die in Führungsprozesse eingebunden sind?
Datenerhebung und -auswertung, Feldzugang und methodischer Zugang
Im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts «Kartographie des schulischen Führungshandelns» (https://www.studie-plus.ch) sollen Schulleitungen und Lehrpersonen bzw. deren Interaktionen an Schulen im Kanton Aargau jeweils ca. vier Wochen lang untersucht werden.
Der gewählte methodische Ansatz ist in erster Linie ethnografisch, orientiert an der Grounded Theory (Mey & Mruck, 2011); die gesammelten Daten sind qualitativer Natur. Ziel ist es, Führungs- und Koordinationsprozesse von Schulleitungen und Lehrpersonen explorativ durch mehrwöchige, halbstrukturierte Beobachtungen zu erfassen. Dabei erfolgt zunächst die Beobachtung von Schulleitenden in ihrem täglichen professionellen Handeln; diese wird im Folgenden sukzessive auf weitere Akteure ausgedehnt. Ergänzend werden im Laufe der Untersuchung teilstrukturierte qualitative Interviews geführt. Die Erhebung und Auswertung der Daten wird im Ansatz der Grounded Theory als Bestandteil der Theoriebildung verstanden. Dies fordert ein iteratives und zirkuläres Vorgehen, bei dem eine schrittweise Annäherung an Theorien simultan oder zwischen Erhebungszeiträumen anhand des Datenmaterials erfolgt (Glaser, 1998).
Erwarteter Gewinn der Arbeit
Die in diesem Projekt gewonnenen Daten tragen dazu bei, schulisches Führungshandeln in seinen diversen Facetten besser zu verstehen und nachzuvollziehen, wie Führung (Leadership) in Schulen verteilt ist und welche Akteure eine Rolle spielen. Der gewählte Ansatz ermöglicht es, Forschenden unmittelbare Einblicke in die Abläufe des schulischen Führungshandelns sowie in Aushandlungsprozesse und Beziehungen zu erhalten und diese, falls gewünscht, mit den Akteuren reflexiv in Anschlussgesprächen zu teilen.
Durch die gewählte, ethnographisch orientierte Herangehensweise und das Design des Promotionsvorhabens können die daraus gewonnenen Erkenntnisse in der Deutschschweiz eine Bereicherung für das Forschungsfeld um schulische Führung und ihrer Verteilung darstellen, da hierzu bisher kaum empirisch gesicherte Erkenntnisse vorliegen und diese meistens aus standardisierten Befragungen oder im Umfang deutlich begrenzteren qualitativ orientierten Studien stammen (u.a. Obrist, 2011).
Die gewonnenen Einsichten stellen neben einem Erkenntniszuwachs für die untersuchten Organisationen auch Befunde mit Relevanz für die Professionalisierung von Lehrpersonen und Schulleitungen dar.