Promovendin: Carol Demarmels
Keywords: Mathematikunterricht, Fehleranalyse, diagnostische Kompetenz, Schüler:innenlösungen, Eye-Tracking, Blickstrategien
Gutachtende: Prof. Dr. Georg Bruckmaier, Prof. Dr. Alexander Grob
Projektbeginn: HS 2025
Abstract
Thematische Einordnung und theoretische Verankerung:
Bereits Piaget erkannte, dass Fehler einen zentralen Aspekt des mathematischen Lernens darstellen und wertvolle Einblicke in Denkprozesse bieten (Piaget, 1972). Aufbauend auf dieser entwicklungspsychologischen Perspektive systematisierte Radatz die moderne Fehleranalyse, indem er zeigte, dass mathematische Fehler oft aus tief verankerten Fehlkonzepten oder falscher Regelanwendung resultieren (Radatz, 1979). Die Fähigkeit von Lehrpersonen, Fehler in Schüler:innen-Lösungen zu identifizieren, ist ein wichtiger Bestandteil der diagnostischen Kompetenz, die in der Mathematikdidaktik zunehmend Forschungsinteresse auf sich zieht. Diagnostische Kompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit von Lehrpersonen, Fehler systematisch zu identifizieren, die zugrunde liegenden Ursachen zu analysieren und entsprechende lernförderliche Rückmeldungen zu geben (Heinrichs, 2015). Untersuchungen legen dabei nahe, dass die diagnostische Kompetenz stark von mathematischem und fachdidaktischem Wissen abhängt (Hoth et al., 2022; Ostermann et al., 2019).
Diagnostische Kompetenz führt dazu, dass Lehrpersonen den Lernfortschritt ihrer Schüler:innen besser fördern (Brunner et al., 2011). Wiederholt zeigten Untersuchungen, dass die diagnostische Kompetenz von Lehrpersonen mittels gezielter Schulung gefördert werden kann (Benecke et al., 2022; Heinrichs, 2015). Dazu gehört auch die Fähigkeit von Mathematik-Lehrpersonen, in fehlerhaften Termumformungen entsprechende Stellen schnell und zuverlässig visuell zu identifizieren. In diesem Zusammenhang bedienen sich Lehrpersonen unterschiedlicher Strategien zur Fehleridentifizierung (Ostermann et al., 2019). Die Ursachen von Fehlern können dabei sowohl prozedural, konzeptuell als auch strategischer Art sein (Radatz, 1979) und weiter differenziert werden (Ashlock, 2006; Heinrichs, 2015).
Neben dem fachlichen Wissen der Lehrperson im Sinne von Shulmans „Content Knowledge“ (Shulman, 1987) spielt die visuelle Wahrnehmung eine entscheidende Rolle bei der schnellen und zuverlässigen Fehleridentifizierung. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Analyse der Blickbewegungen an Bedeutung. Das Training von Blickstrategien kann dabei helfen, algebraische Strukturen schneller zu erfassen (Weber et al., 2025). In dieser Untersuchung von Weber et al. ermöglichte es Eye-Tracking als Forschungsmethode, die Blickbewegungen von Lehrpersonen zu verfolgen und damit mathematische Denkprozesse sichtbar zu machen. Das Analysieren der Augenbewegung erlaubt auch, Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie effektiv und schnell Schüler:innen-Lösungen visuell erfasst und relevante Fehlerbereiche identifiziert werden. So bestätigten Bruckmaier et al. in einer Eye-Tracking-Studie zur Verarbeitung statistischer Informationen, dass visuelle Darstellungen effizienter verarbeitet werden als anderweitige Darstellungen (Bruckmaier et al., 2019). Weitere Studien legen nahe, dass gezielte Interventionen zur Förderung der diagnostischen Kompetenz die diagnostische Genauigkeit erhöhen (Heinrichs, 2015) und langfristig die Unterrichtsqualität verbessern können (Hock, 2021).
Die Dissertation untersucht, inwiefern die visuelle Fehleridentifizierung von der mathematischen Fachkompetenz abhängt und zur diagnostischen Kompetenz beiträgt. Dabei wird analysiert, welche Blickbewegungen – erfasst durch Eye-Tracking – eine effiziente Fehlererkennung unterstützen. Zudem wird geprüft, ob sich die visuelle Fehleridentifizierungsrate durch gezielte Trainingsmodule auf Basis der Eye-Tracking-Erkenntnisse verbessern lässt.
Forschungsfragen
Die Forschungsfragen 2 und 3 werden im Kontext mathematischer Termumformungen auf Stufe Zyklus 3 des Lehrplans 21 und im Rahmen des mathematischen Fachwissenschaftsmoduls ‘Algebra’ mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule der FHNW und Forschungsfrage 1 zusätzlich mit erfahrener Lehrpersonen untersucht.
Datenerhebung und Methodik
In einer ersten Untersuchung wird der Zusammenhang zwischen der mathematischen Fachkompetenz angehender Lehrpersonen und ihrer Fähigkeit zur visuellen Fehleridentifikation analysiert. Dafür werden relevante Fachkompetenzen sowie die Fehlererkennungskompetenz mittels standardisierter Tests bei Studierenden der PH der FHNW erhoben.
In einer zweiten Untersuchung werden die visuellen Strategien beim Identifizieren mathematischer Fehler mittels Eye-Tracking analysiert. Dabei werden Blickbewegungen aufgezeichnet, während die Teilnehmenden Aufgaben und Schüler:innenlösungen mit typischen Fehlern bearbeiten. Untersucht wird, wie sich die Strategien von Studierenden mit ausreichender Fachkompetenz und erfahrenen Lehrpersonen unterscheiden.
Daraus abgeleitet wird ein Trainingsmodul zur Förderung der visuellen Fehleridentifikation entwickelt und dessen Wirksamkeit in einer dritten Untersuchung mittels Prä-Post-Modell evaluiert.
Erwarteter Gewinn
Die Dissertation liefert Erkenntnisse zum Zusammenhang von Fachkompetenz und diagnostischer Kompetenz sowie zu visuellen Fehlererkennungsstrategien. Daraus ergeben sich praxisnahe Ansätze zur Förderung angehender Mathematiklehrpersonen durch gezielte Schulungen. Langfristig kann dies zur Qualitätssteigerung im Mathematikunterricht beitragen.