Herkunfts- und Schülerhabitus als Disposition für das Studium zum Lehrberuf - Sequenzanalytische Habitusrekonstruktionen und ihre prognostische Validität im Studienverlauf
Promovend: Adrian Ulmcke
Keywords: Habitus, Professionalisierung, Sequenzanalytische Habitusrekonstruktion, Transformation, Trajektorien
Gutachtende: Prof. Dr. Tobias Leonhard, Prof. Dr. Manfred Max Bergman
Projektbeginn: HS 2020
Das Forschungsvorhaben ist als Teilstudie im SNF – Projekt „Trajektorien in den Lehrberuf – Adressierungspraktiken und Narrationen im Längsschnitt des BA-Studiums Kindergarten/Unterstufe (TriLAN)“ konzipiert. Es sollen berufsbezogene Veränderungen bei Studierenden im Verlauf des Studiums als Veränderungen eines spezifischen Herkunfts- und Schülerhabitus rekonstruiert werden. Kompetenztheoretische Untersuchungen operieren unter der Prämisse, dass professionelle Kompetenzen additiv hinzugewonnen werden können, sofern eine bestimmte „Eignung“ vorliegt, die wiederum als Set vorhandener Kompetenzen modelliert wird (vgl. Weyand 2015). Die Fokussierung auf Kompetenzen lässt Veränderungen auf der Ebene der Identität unberücksichtigt. Lopes (2009) kommt zu dem Schluss, dass professionelle Identitäten relational in verschiedenen Kontexten gebildet werden und sie gerade nicht in linearen Phasen gedacht werden können. Es erscheint also notwendig, Veränderungen im Studium prozessual und mit Berücksichtigung individueller Dispositionen in den Blick zu nehmen. Als anschlussfähiges Konzept erweist sich hier der Habitus im Sinne Bourdieus (1987). In Arbeiten zum Schülerhabitus (Helsper, Kramer & Thiersch, 2014; Rosenberg, 2014) wurden neben Habitus-Typen auch Veränderungen dieser Typen im Längsschnitt dokumentiert (Kramer, 2014). Helsper (2018) merkt an, dass die Erforschung des Lehrpersonenhabitus ohne Berücksichtigung des familial und individuell erworbenen Habitus sowie des Schülerhabitus nicht empirisch erfasst werden kann (Helsper, 2018). Ziel des Promotionsvorhabens muss es also sein, den familial erworbenen, individuellen sowie den Schülerhabitus zu rekonstruieren, um anschließend einen Studierendenhabitus und mögliche Veränderungen dessen empirisch greifbar zu machen. Hierbei eröffnet das Konzept der Trajektorien (Bourdieu, 1987) einen deskriptiven Rahmen, diese Prozesse empirisch zu erfassen.
Die Datenerhebungsmethode folgt zunächst dem biographisch-episodischen Interview nach Flick (2011). Es werden Narrationen zu familialer Herkunft, Bildungsbiographie, Erfahrungen mit eigenen Lehrpersonen und Hintergründe der Studienwahl dokumentiert. Auf deren Basis soll der Eingangshabitus Studierender als Disposition verschiedener Trajektorien rekonstruiert werden. Zusätzlich werden Daten mit Hilfe der App „Metapholio" erhoben. Mit dieser können Audiodaten als Interaktionsprotokolle oder monologische Narrationen gewonnen werden. Diese Daten ermöglichen zum einen die Prüfung der habitusbezogenen Rekonstruktionen in den studentischen Praktiken und dokumentieren zum anderen weitere Narrationen in Folge möglicher Veränderungsanlässe als Trajektorien hin zu einem möglicherweise veränderten Habitus.
Die Datenauswertung folgt der sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion von Kramer (2018). So können Interaktionsprotokolle und Narrationen als Ausdruck des studentischen Habitus rekonstruiert werden. Weitere Sequenzen in folgendem Protokollen können darauf einer Falsifizierung unterzogen werden, wodurch sich immer mehr die „strukturierende Struktur" (Bourdieu, 1993, S. 98) des Habitus herauskristallisiert.
Innovativer Kern des Promotionsvorhabens ist die erstmalige Bestimmung eines Studierendenhabitus, die auf Grundlage des rekonstruierten biografisch erworbenen Eingangshabitus mit Hilfe der sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion valide gelingen kann. Auch der Versuch, verschiedene Verläufe als Typologien von Trajektorien im Prozess selbst empirisch sichtbar zu machen, kann als besonderer Mehrwert dieses Vorhabens gelten. Inwiefern sich die Verläufe als Ausprägung eines in der Lehrpersonenbildung angestrebten wissenschaftlich-reflexiven Habitus in Folge von „Professionalisierungsprozessen" qualifizieren lassen, hat große legitimatorische aber auch konzeptionell-didaktische Bedeutung für die Hochschulbildung.
Literatur
Bourdieu, S. (1987). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Bourdieu, S. (1993). Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Flick, U. (2011). Das Episodische Interview. In G. Oelerich & H.-U. Otto (Hrsg.), Empirische Forschung und Soziale Arbeit (S. 273-280). Wiesbaden: Springer VS.
Helsper, W. (2018). Vom Schülerhabitus zum Lehrerhabitus – Konsequenzen für die Lehrerprofessionalität. In T. Leonhard, J. Kosinar, & C. Reintjes (Hrsg.), Praktiken und
Orientierungen in der Lehrerbildung. Potentiale und Grenzen der Professionalisierung (S. 17-40). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Helsper, W., Kramer, R.-T., & Thiersch, S. (Hrsg.). (2014). Schülerhabitus. Theoretische und empirische Analysen zum Bourdieuschen Theorem der kulturellen Passung. Wiesbaden: Springer VS.
Kramer, R.-T. (2014). »Habitus(-wandel)« im Spiegel von »Krise« und »Bewährung«. Strukturtheoretische Überlegungen zu einer dokumentarischen Längsschnittforschung. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 14(1), 13-32.
Kramer, R.-T. (2018). Sequenzanalytische Habitusrekonstruktion. Methodologische Überlegungen zu einer neuen Methode der Habitushermeneutik. In M. Heinrich & A. Wernet (Hrsg.), Rekonstruktive Bildungsforschung (S. 243-267). Wiesbaden: Springer.
Lopes, A. (2009). Teachers as Professionals and Teachers’ Identity Construction as an Ecological Construct: an agenda for research and training drawing upon a biographical research process. European Educational Research Journal 8(3), 461-475.
Rosenberg, F. v. (2014). Schülerhabitus und Habitustransformation. Peergroups als Potentiale für Bildungsprozesse. In W. Helsper, R.-T. Kramer, & S. Thiersch (Hrsg.), Schülerhabitus. Theoretische und empirische Analysen zum Bourdieuschen Theorem der kulturellen Passung (S. 274-290). Wiesbaden: Springer VS.
Weyand, B. (2015). Reflexion der Berufseignung und Berufsneigung bei Lehramtsstudierenden. Empirische und konzeptionelle Zugänge und programmatische Analysen zu Rekrutierungsverfahren in der aktuellen Lehrerbildung und deren Einbettung in institutionelle Strukturen. Heidelberg.