Autorin: Dr. phil. des. Eliane Gilg
Gutachtende: Prof. Dr. Afra Sturm, PH FHNW (CH), Prof. Dr. Martin Luginbühl, Universität Basel (CH), Prof. Dr. Claudia Schmellentin, PH FHNW (CH)
Projektdauer: 2018 - 2025

Abstract
Lesekompetenz ist von hoher Relevanz für den schulischen Erfolg, denn schulisches Lernen ist eng mit der Kompetenz verschränkt, Informationen aus Texten erschliessen zu können. Spätestens mit den ersten PISA-Studien wurde deutlich, dass ein grosser Teil der 15-Jährigen nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringt, um selbst aus einfachen Sachtexten Informationen erschliessen zu können. Studien weisen darauf hin, dass Schüler:innen der Sekundarstufe I im Fachunterricht von den zunehmend fachlich und sprachlich komplexen, diskontinuierlichen und multimodalen Texten überfordert sind. Während es zwar viele Befunde aus Trainingsstudien gibt, besteht bisher wenig empirisch fundiertes Wissen darüber, wie Schüler:innen ihre Leseprozesse selbstständig strukturieren, welche Strategien sie auf welche Art und Weise anwenden und welche Probleme sie beim Lesen haben. Im Promotionsvorhaben wurde an dieses Forschungsdesiderat angeknüpft.

Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, Leseprozesse von Sekundarschüler:innen zu beobachten und ihre lesestrategischen Fähigkeiten zu ergründen. Exemplarisch wurde das Lesen im Unterrichtsfach Biologie fokussiert, da Biologie eines der Fächer ist, in denen die Schüler:innen sich Inhalte mithilfe komplexer und oft multimodaler Texte erschliessen müssen. Konkret zielte das Forschungsvorhaben darauf ab zu erfassen, welche Leseaktivitäten Schüler:innen der Sekundarstufe beim Lesen von Biologietexten anwenden, auf welche Art und Weise sie diese anwenden und kombinieren und welche Verstehensleistungen sie damit zu erzielen vermögen.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitativer Zugang gewählt, wobei Textverstehensprozesse von 20 Schüler:innen der achten Klassenstufe untersucht wurden. Die Leseprozesse der Versuchspersonen wurden multimethodisch mittels Eye-Tracking, Lesespuren (Markierungen, Notizen) und retrospektiven prozessbezogenen Selbstberichten erfasst. Zudem wurden die Verstehensleistungen unmittelbar nach dem Leseprozess mündlich geprüft, um Hinweise auf die Effektivität der angewendeten und kombinierten Leseaktivitäten zu erhalten.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Lernenden der Sekundarstufe I bereits über ein breites Repertoire an lesestrategischen Aktivitäten verfügen. Mangelnde Kompetenzen liessen sich bei einem Teil der Lernenden hinsichtlich der domänenspezifischen Anwendung sowie der metakognitiven Überwachung erkennen. Gruppenunterschiede in Abhängigkeit von den erzielten Verstehensleistungen zeigten sich insbesondere mit Blick auf die Vielfalt der Anwendungsmodi. Obwohl alle Teilnehmenden vielfältige Leseaktivitäten einsetzten, zeigte sich ein deutlicher Unterschied in der Anwendung: Versuchspersonen mit mittleren und hohen Verstehensleistungen nutzten die Aktivitäten auf vielfältige und flexible Weise, während jene mit geringen Verstehensleistungen sie eher einförmig einsetzten. Eine wichtige Implikation für die Leseförderung liegt demzufolge darin, das lesestrategische Repertoire der Schüler:innen der Sekundarstufe zu vertiefen. Dabei geht es nicht darum, eine grössere Vielfalt an kognitiven Leseaktivitäten zu vermitteln, sondern das konditionale Wissen über die zielorientierte und situationsadäquate Anwendung und Kombination der kognitiven Leseaktivitäten aufzubauen sowie metakognitive Aktivitäten der Überwachung und Regulation zu fördern. Ziel ist es, die Schüler:innen zu befähigen, Leseaktivitäten zunehmend zielorientiert, situationsadäquat und metakognitiv überwacht anzuwenden und zu kombinieren.

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