Autorin: Dr. phil. des. Charlotte Schneider
Gutachtende: Prof. Dr. Susanne Metzger, PH FHNW (CH), Prof. Dr. Edwin Constable, Universität Basel (CH)
Projektdauer: 2018 - 2025

Abstract
Bilinguale Lehrgänge sind in der Schweiz und in ganz Europa vor allem mit Englisch als zweiter Sprache weit verbreitet. Obwohl das Lernen in einer Zweitsprache fester Bestandteil der Bildungssysteme ist, liegen wenig Erkenntnisse darüber vor, welche Rolle dabei die Erstsprache in Bezug auf das fachliche Lernen spielt. Aufgrund der Theorien zum bilingualen mentalen Modell (Kroll & Stewart, 1994; Pavlekno, 1999) und der cognitive load Theorie (Sweller, 1988) wird angenommen, dass sich die Aktivierung der Erstsprache während des englischsprachigen Lernens positiv auf das fachliche Lernen auswirkt.

Es wurde untersucht, welchen Einfluss die Anregung der Erstsprache in zwei-sprachigen Lern- und Testphasen für das fachlich-naturwissenschaftliche Lernen spielt. Die Studie wurde mit N = 147 Schüler:innen gehobener Sprachfähigkeiten in Englisch (B2+) auf der Sekundarstufe II an Schweizer und Liechtensteiner Gymnasien durchgeführt.

In einer randomisierten Interventionsstudie mit einem 2 x 2 + 1 Pre-Post-Design mit vier bilingual-englischsprachigen Versuchsgruppen und einer deutschsprachigen Kontrollgruppe lernten die Schüler:innen Inhalte zu Radioaktivität und ionisierender Strahlung in einer 90-minütigen online-Selbstlerneinheit. Während zwei der Versuchsgruppen aufgefordert wurden, die Erstsprache Deutsch zur Beantwortung der die englischsprachigen Informationen in begleitenden Verarbeitungsaufgaben zu nutzen, bearbeiteten zwei Versuchsgruppen Inhalte und Aufgaben in der Zweitsprache Englisch allein. Je eine Gruppe wurde in der Erstsprache getestet. Es wurden Daten zum Lernzuwachs, der Bearbeitungszeit und Selbsteinschätzungen (cognitive load, Schwierigkeit und Verständnis) erhoben.

Die inferenzstatistischen Gruppenvergleiche ergaben, dass Schüler:innen, welche die Erstsprache beim Lernen aktiv für die Verarbeitung der Inhalte nutzten, einen signifikant höheren Lernzuwachs und grösseres wahrgenommenes Verständnis zeigen als solche, die das nicht tun. Die Bearbeitungszeiten der vier Gruppen unterschieden sich nicht. Die Gruppen, welche in der Erstsprache getestet wurden, schnitten signifikant schlechter ab als die, welche in der Zweitsprache getestet wurden. Der Lernzuwachs aller englischsprachiger Gruppen zusammen ist vergleichbar mit dem der deutschsprachigen Kontrollgruppen, was für einen vergleichbaren fachlichen Kompetenzerwerb in zweit- und erstsprachigen Lernsituationen spricht, allerdings unter signifikant höherer Bearbeitungszeit in den englischsprachigen Gruppen.

Die Studie zeigt erstmals, dass die Aktivierung des erstsprachigen Systems in den Schüler:innen ausreicht, um ihr konzeptuell-naturwissenschaftliches Lernen zu verbessern und die äussere Bereitstellung von erstsprachigen Informationen, wie beispielsweise bei Clark et al. (2012) oder Roussel et al. (2017), nicht notwendig ist. Es konnten auch bestätigt werden, dass Sprachwechselkosten entstehen, wenn die Lernsprache nicht der Testsprache entspricht (vgl. Roussel et al., 2017). Diese Ergebnisse sprechen für eine planvolle Aktivierung der Erstsprache in bilingualen Lernsituationen und gegen die vermeintlich entlastende Leistungsüberprüfung in der Erstsprache.

Literatur
Clark, D. B., Touchman, S., Martinez-Garza, M., Ramirez-Marin, F. & Drews, T. S. (2012). Bilingual language supports in online science inquiry environments. Computers & Education, 58(4), 1207–1224.

Kroll, J. F. & Stewart, E. (1994). Category Interference in Translation and Picture Nam-ing: Evidence for Asymmetric Connections Between Bilingual Memory Repre-sentations. Journal of Memory and Language, 33(2), 149–174. https://doi.org/10.1006/jmla.1994.1008

Pavlenko, A. (1999). New approaches to concepts in bilingual memory. Bilingualism: Language and cognition, 2(3), 209–230.

Sweller, J. (1988). Cognitive load during problem solving: Effects on learning. Cogni-tive science, 12(2), 257–285.

Roussel, S., Joulia, D., Tricot, A. & Sweller, J. (2017). Learning subject content through a foreign language should not ignore human cognitive architecture: A cognitive load theory approach. Learning and Instruction, 52(Supplement C), 69–79. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2017.04.007

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