Historisches Erzählen verstehen (lernen).
Unterstützung des globalen Leseverstehens von Schulbuchtexten im Fach Geschichte auf der Sekundarstufe I
Promovend: Sandro Brändli
Keywords: Lesen, Leseprozesse, Geschichte, Sprachbewusster Unterricht
Gutachtende: Prof. Dr. Claudia Schmellentin, Prof. Dr. Martin Luginbühl, Prof. Dr. Afra Sturm
Projektbeginn: FS 2022
Literale Kompetenzen sind im «Lesefach» Geschichte besonders entscheidend für den Lernerfolg (Handro 2018). Studien aus der Geschichtsdidaktik (von Borries et al. 2005) weisen jedoch – ähnlich wie Studien aus anderen Fächern (u.a. Reiss et al. 2019, Schmellentin et al. 2017) – darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler (S*) der Sekundarstufe I Verfassertexte aus Geschichtslehrmitteln nur unzureichend verstehen und dass sie die Texte nicht für einen effektiven Kompetenzaufbau nutzen können.
Textseitig lässt sich ein Grund für unzureichendes Leseverstehen von Verfassertexten in deren Beschaffenheit finden (geringe Adressatenorientierung, sehr hohe Informationsdichte, geringe Kohärenz, sprachlich nicht explizierte historische Denkoperationen) (zusammenfassend Schmellentin 2020, Schrader 2020). Eine lesedidaktische Massnahme, hierarchiehohe Verstehensprozesse zu unterstützen und damit der Diskrepanz von vorhandenen und fürs Lernen vorausgesetzten Lesekompetenzen zu begegnen, sind textseitige Anpassungen mittels sogenannter Kohärenzbildungshilfen (Schnotz 1994). Um Verstehensschwierigkeiten leserseitig zu identifizieren und um zu einer fachspezifischen Profilierung solcher Kohärenzbildungshilfen, welche die historischen Denkoperationen und Basiskonzepte berücksichtigen, zu gelangen, ist allerdings grundlegendes empirisch fundiertes Wissen zu Leseverstehensprozessen von S* im Fach Geschichte notwendig, das in Bezug auf die Fach-Noviz*innen auf der Sekundarstufe I bis anhin noch fehlt.
Sich diesem Desiderat annehmend fokussiert das Promotionsvorhaben als explorative qualitative Studie den Leseprozess von S* der Sekundarstufe I im Fach Geschichte, die Entwicklung solcher textseitigen fachspezifischen Anpassungen und deren Nutzung seitens der S*. Ziel des Vorhabens ist es, empirisch fundiertes Wissen darüber zu generieren, wie Leseverstehensprozesse auf der Sekundarstufe I im Fach Geschichte ablaufen und wie diese mittels Kohärenzbildungshilfen lesedidaktisch unterstützt werden können. Die Erkenntnisse der Studie dienen als Grundlage für eine wissenschaftsbasierte Weiterentwicklung didaktischer Modelle und Konzeptionen für den Unterricht, die den Aufbau historischer Lesekompetenzen fördern und mit denen lesebedingte Lernprozesse im Fach Geschichte gezielt angeleitet und unterstützt werden können.
Die Studie arbeitet mit einer homogenen Stichprobe (S* der Sekundarstufe I, 8. Klasse, erweitertes Niveau, Kt. ZH) und wählt einen multimethodischen Zugang mit Leseprozessbeobachtung, fokussiertem Interview und Verstehenstest. Die Datenauswertung erfolgt inhaltsanalytisch.
Angegliedert ist das Vorhaben an das an der FHNW laufende SNF-Projekt «Unterstützung des Leseverstehens im Fach Geschichte» (HistText), in welchem die Wirksamkeit von sowohl textseitigen als auch aufgabenseitigen lesedidaktischen Massnahmen in einem Mixed-Method-Design untersucht wird.
Literatur
von Borries, Bodo; Fischer, Claudia; Leutner-Ramme, Sibylla und Meyer-Hamme, Johannes (2005): Schulbuchverständnis, Richtlinienbenutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht. Eine qualitativ-quantitative Schüler- und Lehrerbefragung im Deutschsprachigen Bildungswesen 2002. Bd. 9. Neuried: Ars una. (= Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik).
Handro, Saskia (2018): Geschichte lesen, aber wie? Plädoyer für eine geschichtsdidaktische Profilierung von Lesestrategien. In: Sandkühler, Thomas; Bühl-Gramer, Charlotte; John, Anke; Schwabe, Astrid und Bernhardt, Markus. (Hrsg.): Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 17). S. 275–293. [https://doi.org/10.14220/9783737008914.275].
Reiss, Kristina; Weis, Mirjam; Klieme, Eckhard und Köller, Olaf (Hrsg.) (2019): PISA 2018: Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster/New York: Waxmann. [https://www.pedocs.de/volltexte/2020/18315/pdf/Reiss_et_al_2019_PISA_2018_Grundbildung.pdf].
Schmellentin, Claudia (2020): Gestaltung von Verfassertexten in Geschichtsschulbüchern. Desiderate, Möglichkeiten und Grenzen aus sprachdidaktischer Perspektive. In: Sandkühler, Thomas und Bernhardt, Markus (Hrsg.): Sprache(n) des Geschichtsunterrichts. Sprachliche Vielfalt und Historisches Lernen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 21). S. 319–334.
Schmellentin, Claudia; Dittmar, Miriam; Gilg, Eliane und Schneider, Hansjakob (2017): Sprachliche Anforderungen in Biologielehrmitteln. In: Ahrenholz, Bernt; Hövelbrinks, Britta und Schmellentin, Claudia (Hrsg.): Fachunterricht und Sprache in schulischen Lehr-/Lernprozessen. Tübingen: Narr. S. 73–91.
Schmitz, Anke (2016): Verständlichkeit von Sachtexten. Wirkung der globalen Textkohäsion auf das Textverständnis von Schülern. Wiesbaden: Springer.
Schnotz, Wolfgang (1994): Aufbau von Wissensstrukturen. Untersuchungen zur Kohärenzbildung beim Wissenserwerb mit Texten. Weinheim: Beltz. (= Fortschritte der psychologischen Forschung 20).
Schrader, Viola (2020): Historisches Denken durch Verfassertexte fördern? Das Potenzial der Sprache(n) in Geschichtslehrwerken aus geschichtsdidaktischer Perspektive. In: Sandkühler, Thomas und Bernhardt, Markus (Hrsg.): Sprache(n) des Geschichtsunterrichts. Sprachliche Vielfalt und Historisches Lernen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 21). S. 335–347.