Video Games as Door Openers for a Self-Determined Career Choice Process for Young People

Promovendin: Christine Hoffelner
Keywords: life design, career choice process, game design, game metaphor, challenge mindset, growth mindset, self-efficacy, transformative learning, coaching, design thinking
Gutachtende: Prof. Dr. Albert Düggeli, Pädagogische Hochschule Graubünden (CH); Prof. Dr. Elena Makarova, Institut für Bildungswissenschaften IBW, Universität Basel (CH)
Projektbeginn: FS/2022

In modernen Karrieretheorien wird die berufliche Identität oftmals an die wandelbare Gestalt des Gottes Proteus angelehnt,  soll sie doch möglichst facettenreich und adaptiv ausgebildet werden (Hall et al., 2018). Die dazu notwendigen proteischen Metakompetenzen der Eigenverantwortung und subjektiven Werteorientierung werden somit als äusserst bedeutsame Schlüsselkompetenzen angesehen.  Diese versprechen einerseits Freiheit und Flexibilität in der eigenen Laufbahngestaltung,  kritisch betrachtet können sie aber auch in einem "unternehmerischen Selbst" (Bröckling, 2009) münden, welches sieht sich fast schon gezwungen sieht, flexibel und selbstverantwortlich auf die schnelllebigen Veränderungen am Arbeitsmarkt zu reagieren.

Im Angesicht dieser Herausforderung gilt es nun die Frage zu stellen, welches Ziel im Unterricht der beruflichen Orientierung für die Schüler:innen der Sekundarstufe 1 verfolgt werden sollte.  Das Ergebnis einer Passung, sprich einer von Holland (1997) vielfach zitierten typologisierten Kongruenz von eigenen, stabil gedachten Interessen und den Anforderungen in einem Beruf, scheint vielfach zu kurz zu greifen (Nägele et al., 2017) und lässt auch das eigene dynamische Entwicklungspotential völlig ausser acht (Super, 1994). Vielmehr sollte es darum gehen, eine auf solche Art voreilig gebildete Entscheidung in der Berufswahl bzw. einer Anschlusslösung nach Abschluss der Sekundarstufe 1 im Rahmen des Unterrichts auch kritisch zu betrachten und hinterfragen zu können. Gemäss Lehrplan 21 sollen sich Lehrpersonen im Rahmen der beruflichen Orientierung daher weniger als «Match-Maker» verstehen, sondern viel mehr als Coaches, welche ein individuelles Begleiten sowie auch die Komplexität des Berufswahlprozesses der jungen Menschen im Blick haben sollen (D-EDK, 2016). Den Berufswahlprozess gilt es dabei mehr nach dem Verständnis von Savickas et. al (2009) als einen lebenslangen Gestaltungsprozess zu betrachten, in dem sich Interessen entwickeln und verändern können, zum Beispiel durch Lernerfahrungen (Lent & Brown, 2019).

Die Lehrperson als Coach soll durch die Dissertation vermehrt in den Fokus gerückt werden, indem eine besondere Lebenswelt der Jugendlichen, die Gamingwelt, für eine lebensweltnahe und innovative Coaching-Methode für die Sekundarstufe 1 miteinbezogen wird. Die dazu vorab in Theorie angedachten Konzepte (vor allem von Rochat & Armengol, 2020; Rochat & Borgen, 2021), sollen dabei in ihrer Anwendung, digital und analog, auf ihren Mehrwert für den Berufswahlprozess Jugendlicher hin überprüft werden. Mit dem Ziel, eine möglichst freie Berufswahl (Marty, 2011) zu ermöglichen, soll untersucht werden, ob die dazu notwendigen transformativen, emanzipierenden Lernprozesse, wie sie Mezirow (1990) beschreibt, initiiert werden und u.a. förderliche Mindsets entstehen können. Ein growth bzw. challenge mindset (Dweck, 2006; McGonigal, 2016)  könnte beispielweise Einfluss auf das für den Berufswahlprozess bedeutende Konzept der eigenen Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977, S. 193) der Jugendlichen haben. In weiterer Folge könnte das Ausbilden eines solches Mindsets dazu verhelfen, ein neues Narrativ in Bezug auf den eigenen Lebens- und Karriereweg im Sinne des Life-Design-Ansatzes zu entwickeln (Savickas, 2012) und mehr in ein selbstbestimmtes und selbstgesteuertes Verständnis zu gelangen. Um ein solches Mindset zu trainieren und die Motivation für herausfordernde Situationen aufrecht zu erhalten, wie es die Berufswahl sein kann, wird von Gamedesignerin McGonigal vor allem das Anwenden von Spielelementen postuliert. Für die Dissertation werden daher Schüler:innen digital dazu aufgefordert, ihre Berufswahl als Spiel zu betrachten. Interessierte Klassen haben zudem die Möglichkeit, im Rahmen eines Workshops ein Spiel zur Berufswahl selbst zu designen. U.a. soll dabei überprüft werden, ob die in der Postmoderne stark gefordert Fähigkeit zur «Konstruktion der eigenen Laufbahn» (Savickas et al., 2009) und die dazu notwendigen Kompetenzen,  durch Methoden des Design Thinkings (Koh et al., 2015) praktisch angewandt bzw. erworben werden können.

Die damit verbundenen Forschungsfragen formulieren sich demnach folgendermassen:

  1. Welche «skills» werden von Jugendlichen bei Videospielen angewandt und welche Transfers können sie davon für den Berufswahlprozess ableiten?
  2. Welche Effekte haben digitale Interventionen, welche sich einer Game-Metapher bedienen, auf die Entwicklung von Selbstwirksamkeit und Mindsets von Jugendlichen für den Berufswahlprozess?
  3. Kann das Designen eines Spiels zur Berufswahl dazu verhelfen, dass Jugendliche Kompetenzen im Bereich des Design Thinkings erwerben?

Die Dissertation entsteht im Rahmen des Forschungsprojekts digibeDigitale Begleitung im Berufswahlprozess [1]. Dabei werden Daten von mehr als 2500 Schüler/innen der Sekundarstufe 1 der deutschsprachigen Schweiz erfasst. In Form einer beschleunigten Längsschnittstudie werden auf vier Jahre die Effekte online durchgeführter Interventionen auf das transformative Lernen und die Fähigkeit zur Reflexion überprüft. Dazu existieren drei unterschiedliche Interventionsgruppen sowie eine Kontrollgruppe. Eine Intervention, die sogenannte Terra Ludus, richtet sich stark nach den Inhalten der Dissertation. Weiters erhalten die Jugendlichen aller Interventionsgruppen sowie auch aus der Kontrollgruppe mehrmals pro Semester einen Fragebogen zum Stand ihrer Berufswahl. Vorrangig aus diesen beiden Erhebungsinstrumenten werden die Daten für die Dissertation generiert, sowie durch teilnehmende Beobachtung beim Durchführen der Game-Design Workshops mit Klassen aus dem Projekt. Das Forschungsprojekt wird vom SBFI von Januar 2021 bis Dezember 2024 finanziert. Die Projektleitung hat Dr. Christof Nägele inne, Dozent an der PH FHNW, als Partner fungieren die APS FHNW und die PH Bern.

Literatur:

Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215. https://doi.org/10.1037/0033-295X.84.2.191

Bröckling, U. (2009). Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform (3. Aufl.). Suhrkamp.

D-EDK. (2016). Lehrplan 21: Gesamtausgabe. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK).

Dweck, C. S. (2006). Mindset: The new psychology of success. Random House Publishing.

Hall, D. T., Yip, J., & Doiron, K. (2018). Protean careers at work: Self-direction and values orientation in psychological success. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 5(1), 129–156. https://doi.org/10.1146/annurev-orgpsych-032117-104631

Holland, J. L. (1997). Making vocational choices: A theory of vocational personalities and work environments. Psychological Assessment Resources.

Koh, J. H. L., Chai, C. S., Wong, B., & Hong, H.-Y. (2015). Design Thinking and 21st Century Skills. In J. H. L. Koh, C. S. Chai, B. Wong, & H.-Y. Hong, Design Thinking for Education (S. 33–46). Springer Singapore. https://doi.org/10.1007/978-981-287-444-3_3

Lent, R. W., & Brown, S. D. (2019). Social cognitive career theory at 25: Empirical status of the interest, choice, and performance models. Journal of Vocational Behavior, 115, 103316. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2019.06.004

Marty, R. (2011). Berufswahlfreiheit: Ein Modell im Spannungsfeld zwischen Individuum und Umwelt. SDBB.

McGonigal, J. (2016). Gamify your Life. Durch Gamification glücklicher, gesünder und resilienter leben (M. Gaspar & C. Sipeer, Übers.). Verlag Herder GmbH.

Mezirow, J. (1990). A guide to transformative and emancipatory learning. Jossey-Bass.

Nägele, C., Frey, S., & Neuenschwander, M. P. (2017). Passung zum Beruf und die Wahl einer Aus- oder Weiterbildung. In M. P. Neuenschwander & C. Nägele (Hrsg.), Bildungsverläufe von der Einschulung bis in den ersten Arbeitsmarkt (S. 181–198). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16981-7_10

Rochat, S., & Armengol, J. (2020). Career counseling interventions for video game players. Journal of Career Development, 47(2), 207–219. https://doi.org/10.1177/0894845318793537

Rochat, S., & Borgen, W. A. (2021). Career life as a game: An overlooked metaphor for successful career transitions. British Journal of Guidance & Counselling, 1–12. https://doi.org/10.1080/03069885.2021.1940844

Savickas, M. L., Nota, L., Rossier, J., Dauwalder, J.-P., Duarte, M. E., Guichard, J., Soresi, S., Van Esbroeck, R., & van Vianen, A. E. M. (2009). Life designing: A paradigm for career construction in the 21st century. Journal of Vocational Behavior, 75(3), 239–250. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2009.04.004

Super, D. E. (1994). Der Lebenszeit-, Lebensraumansatz der Laufbahnentwicklung. In D. Brown & L. Brooks (Hrsg.), Karriere Entwicklung (S. 211–280). J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH.

 

[1]www.digibe.ch