Werteprioritäten und wertebezogenes Verhalten von Grundschulkindern Eine quantitative Untersuchung von Schlüsselvariablen der Werteentwicklung und -transmission im schulischen Kontext

Promovend: Thomas Oeschger
Keywords: Werteentwicklung, Wertetransmission
Gutachtende: Prof. Dr. Elena Makarova, Institut für Bildungswissenschaften IBW, Universität Basel (CH) PD Dr. Anna K. Döring, Institut Psychology, School of Social Sciences, University of Westminster (UK)
Projektbeginn: HS 2020

Abstract

Thematische Einordnung und Problemlage 
Werte stehen dafür, was einem Individuum im Leben wichtig ist. Sie gelten als zentrales Konstrukt der menschlichen Existenz (Rohan, 2000) und stellen den Kern des Selbstkonzepts und der Identität einer Person dar (Hitlin & Pilliavin, 2004). Dabei gelten Werte nicht nur als Überzeugungen, sondern sind auch untrennbar mit Aspekten der Motivation und der Orientierungen verbunden und leiten so, indem sie bestimmen wie wir mit der Welt interagieren, beziehungsweise wie wir diese gestalten und strukturieren (Inglehart & Baker, 2000), unser Handeln an (Bardi & Schwartz, 2003). 

Der Wertentwicklung von Kindern kommt besondere Bedeutung zu, denn Kinder gestalten die Welt der Zukunft. Kulturen und Sozialisationsakteure versuchen aktiv, den Werterhalt über Generationen hinweg sicher zu stellen (Grusec, 2011). Gleichzeitig verhandeln, erforschen und integrieren die Heranwachsenden im Entwicklungskontext Werte auf sämtlichen ökonomischen Systemebenen (Bronfenbrenner, 1986), um schliesslich diejenigen zu übernehmen, die ihnen angemessen scheinen (Meeus, 2011). 

Die Anzahl der Veröffentlichungen über die Wertentwicklung von der Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter (Döring, Daniel, & Knafo-Noam, 2016) hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und Forschungsarbeiten, die den Einfluss wertebasierter, elterlicher Erziehungsziele auf die Wertentwicklung von Kindern im familiären Kontext beleuchten (Döring, Makarova, Herzog, & Bardi, 2017) haben zu wichtigen Erkenntnissen geführt. Dem entgegen haben bis anhin nur wenige Studien weitergehend untersucht, wie sich Werte innerhalb der Lebensspanne der frühen (4-6 Jahre) bis zur mittleren Kindheit (7-10 Jahre) im schulischen Kontext entwickeln und wie sie vermittelt werden. Dabei kommen der Wertebildung und der Wertevermittlung gerade im schulischen Kontext eine immer zentralere Rolle zu. 

Forschungsvorhaben und erwarteter Erkenntnisgewinn 
Das Forschungsvorhaben hat - unter Berücksichtigung von Schwartz’ Wertetheorie (1992) und in Anlehnung an die einschlägigsten Theoriekonzepte zur Moralentwicklung (Piaget, 2007 [1932]; Kohlberg 1984), zur Entwicklung von prosozialem Verhalten (Eisenberg, Spinrad & Knafo-Noam, 2015) und zur Entwicklung von Empathie (Eisenberg & Strayer, 1987) - zum Ziel, die Werteentwicklung und -transmission im schulischen Kontext der Grundschule zu untersuchen. Dazu wird, anhand der Untersuchung der Werteprioritäten und Verhaltensweisen von Grundschulkindern in der Schweiz und im Vereinigten Königreich ermittelt, in welcher Form spezifische Schlüsselvariablen der Mikro- (proximale Prozesse innerhalb der Klassenzimmer), der Meso- (Auswirkungen des Schulklimas) und der Makro-Ebene (Auswirkungen der Bildungspolitik und der nationalen Lehrpläne in den beiden Ländern) des Schulsystems die Werteentwicklung von Grundschulkindern der ersten beiden Klassen der Primarschule beeinflussen.

Das Vorhaben mit Laufzeit von September 2020 - August 2024 wird vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt.

Forschungsfragen
Die Einflüsse schulischer Faktoren auf die Entwicklung von Werteprioritäten und -strukturen von Primarschulkindern  werden in der Schweiz und in Grossbritannien untersucht. Dabei stehen folgende Forschungsfragen im Zentrum:

Q1: Welche Wertestrukturen und -prioritäten lassen sich bei Primarschulkindern der vorgesehenen Zielgruppe erkennen? Bestehen dabei Unterschiede zwischen schweizerischen und britischen Schulkindern? (Querschnittsuntersuchung)

Q2: Wie werden in den beiden Lehrplänen (Lehrplan 21 und National Curriculum) wertespezifische Inhalte mittels Kompetenzbeschreibungen bzw. Lernzielformulierungen abgebildet? In welchem Verhältnis stehen die beiden nationalen Lehrpläne zu den werteorientierten Inhalten internationaler Organisationen (OECD, CoE)?

Q3: Wie entwickeln sich, im Sinne einer Wertetransmission, mögliche Zusammenhänge zwischen den wertespezifischen Unterrichtszielen der Lehrpersonen, den Werteprioritäten der Kinder und dem wertebezogenen Klima im Klassenzimmer über die Zeit? (Längsschnittsuntersuchung)

Q4: Bestehen, bzgl. der Entwicklung möglicher Zusammenhänge zwischen den wertespezifischen Unterrichtszielen der Lehrpersonen, den Werteprioritäten der Kinder und dem wertebezogenen Klima im Klassenzimmer Unterschiede zwischen schweizerischen und britischen Schulkindern? (Querschnittsuntersuchung)

Forschungsmethode
Der theoretische Rahmen wird von der geplanten Forschungssynthese aus quantitativer Wissenschaft bestimmt. Daraus werden Hypothesen gebildet, die mittels eines a) querschnittlichen Untersuchungsdesigns (Ländervergleich) und b) eines längsschnittlich sowie korrelativen Designs überprüft werden.

Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler in der Schweiz und in Grossbritannien sowie ihre Lehrpersonen werden mittels verschiedener bestehender bzw. im Rahmen der Studie entstehender Erhebungsinstrumente (Fragebogen, bildbasierte Werteerhebungsinstrumente für Kinder (u.a. PBVS-C, Döring et al., 2010)) zu vier Zeitpunkten (T1-T4) u.a. zu ihren Werteprioritäten, zu beobachtbaren wertebezogenem Verhaltensweisen, zu wertebezogenen Unterrichtszielen, zur Nähe zur Lehrperson, zum Klassenklima, zur Umsetzung der wertebezogenen Lehrplanziele, zum Autonomieerleben sowie zur Zugehörigkeit (Inklusion) in der Klasse befragt. 

Der mit den erhobenen Daten durchgeführte Querschnittsvergleich zwischen den beiden Ländern wird Kenntnisse zu den Effekten der beiden nationalen Lehrpläne auf die Werteprioritäten, die Werteentwicklung sowie das wertebezogene Verhalten der Kinder generieren. Die anschliessende statistische Datenauswertung (u.a. Regressionsanalysen, Mehrebenenmodelle, latent growth modeling) wird die Überprüfung der Hypothesen ermöglichen und Antworten auf die Forschungsfragen liefern.

Literatur

Bardi, A., & Schwartz, S.H. (2003).Values and behavior: Strength and structure of relations. Personality and Social Psychology Bulletin, 29, 1207–1220. doi: 10.1177/0146167203254602

Bronfenbrenner, Urie (1986). Ecology of the family as a context for human development: Research perspectives. Developmental Psychology, 22, 723-742.

Döring, A. K., Daniel, E., & Knafo-Noam, A. (2016). Value development from middle child-hood to early adulthood: New insights from longitudinal and genetically-informed research. Special section. Social Development, 25, 571–671. doi: 10.1111/sode.12177

Döring, A. K., Makarova, E., Herzog, W., & Bardi, A. (2017). Parent-child value similarity in families with young children: The predictive power of parents’ prosocial educational goals. British Journal of Psychology, 108, 737-756. doi: 10.1111/bjop.12238

Eisenberg, N., & Strayer, J. (1987). Empathy and its development. New York, NY: Cambridge UP.

Eisenberg, N., Spinrad, T.L., & Knafo-Noam, A. (2015). Prosocial Development. In M.E. Lamb (Ed.), Socioemotional processes. Volume 3 of the Handbook of child psychology and develo-pmental science (7th ed., pp. 610-656). Editor-in-Chief: R. M. Lerner. Hoboken, NJ: Wiley.

Grusec, J. E. (2011). Socialization processes in the family: Social and emotional develop-ment. Annual Review of Psychology, 62, 243-269. doi:10.1146/annurev.psych.121208.131650

Hitlin, S., & Piliavin, J. A. (2004). Values: Reviving a dormant concept. Annual Review of Sociology, 30, 359-393. doi: 10.1146/annurev.soc.30.012703.110640

Inglehart, R., & Baker, W. E. (2000). Modernization, cultural change, and the persistence of traditional values. American Sociological Review, 65(1), 19-51.: doi:10.2307/2657288

Kohlberg, L. (1984). The Psychology of Moral Development. San Francisco: Harper & Row.

Meeus, W. (2011). The study of adolescent identity formation 2000-2010: A review of lon-gitudinal research. Journal of Research on Adolescence, 21, 75-94. doi:10.1111/j.1532-7795.2010.00716.x

Piaget, J. (2007 [1932]). The moral judgment of the child. Abingdon Oxon: Routledge.

Rohan, M. J. (2000). A rose by any name? The values construct. Personality and Social Psy-chology Review, 4, 255-277. doi: 10.1207/S15327957PSPR0403_4

Schwartz, S. H. (1992). Universals in the content and structure of values: Theoretical advan-ces and empirical tests in 20 countries. In M.P. Zanna (Ed.), Advances in experimentalsocial psychology: Vol.25 (pp.1-65). San Diego, CA: Academic Press.